Sonntag, 18. Oktober 2009

Die bösen Killerspiele. Oder: Der Trend zur einfachen Antwort

In Stuttgart sammelt ein Aktionsbündnis zurzeit "Killerspiele" in einem großen Container um sie somit zu entsorgen und aus der Gesellschaft zu entfernen. Mal ganz davon abgesehen, dass ich als Aktionsgruppe IMMER auch nur ansatzweise Analogien zu Bücherverbrennungen und ähnlichen autoritären Machtdemonstrationen tunlichst vermeiden sollte habe ich damit ganz persönlich auch andere Probleme.

Bei allen Leid und Schmerz, was die Angehörigen von Amoklaufopfern verspüren mögen, mit dem einfachen Kausalzusammenhang Killerspiel = Amoklauf macht es sich die Gesellschaft zu einfach. Einschlägige Aktionsgruppen und medienpräsente ZDF-Kriminalexperten liegen damit aber voll im Trend, denn der Hang zur Entkomplexisierung der modernen Welt findet sich in allen Bereichen. An der gescheiterten Integrationspolitik sind natürlich allein die dummen Ausländer schuld, die ja nur kleine Kopftuchmädchen produzieren, wie uns Sarrazin die Tage verkündete. An der Kostenexplosion im Gesundheitssystem sind ja nur die nichtsnutzigen Patienten schuld, warum wir ihnen eine Praxisgebühr aufbrummen, damit sie ja nicht so häufig zum Arzt laufen. An der "Verwahrlosung" der Jugend sind RTL2 und Alcopos schuld. Die Internetsurfer sind alle potentiell pädokriminell und anderweitig gefährliche Raubmordkopiererterroristen, deshalb brauchen wir Stoppschilder, Vorratsdatenspeicherung und Online-Durchsuchungen.

All dies sind nur einige kleine Beispiele dafür, dass der Trend zum kurzfristigen Denken allenthalben weit verbreitet ist. Statt die Wurzel eines Problems im öffentlichen Diskurs "auszugraben" und darauf mit mittel- und langfristigen Lösungsstrategien zu reagieren dominiert heute die Kurzschlussreaktion die Tagespolitik. Auf der einen Seite ist dies mit Sicherheit mit dem höheren Mediendruck zu erklären und besonders den Empörungsstrategien, die von den Verlagskonzernen auf der Suche nach der nächsten Eskalationsstufe gefahren wird. Auf der anderen Seite lässt sich die Schuld auch beim weit verbreiteten Politikertypus suchen, der nach einem Maximum an Unverfänglichkeit strebt. Bloß nicht für etwas einstehen, bloß nicht sagen müssen, hier stehe ich, ich kann nicht anders. Könnte ja meine Wiederwahl gefährden. Beides, Medien und rein gesinnungsethische Politiker, schaukeln sich in diesem Spiel immer weiter auf. Keiner wagt den Kopf aus der Deckung, er könnte ihm ja von der BILD weggeschossen werden.

Medien und weite Teile der Politik haben in diesem Unheiligen Bündnis eine erfolgreiche Exitstrategie gefunden. Und hier schließt sich der Kreis, denn nichts ist einfacher als Probleme zu verkürzen und sie unpopulären Randgruppen in die Schuhe zu schieben. Der Politiker erscheint trotz Unverfänglichkeit aktionsfähig und "Tut mal endlich was", und die Springerpresse kann genussvoll das nächste "Gesocks" öffentlich zum Richtblock führen.

Was können wir dagegen tun? Die erste und beste Maßnahme dürfte es sein, hin und wieder mal den Kopf einzuschalten. Nicht alles unbesehen glauben, was einem Presse, Teile der Politik, das Lehrpersonal in Schule und Universität oder der Pfarrer auf der Kanzel sagt. Nachdenken, ist das wirklich ein logischer Kausalzusammenhang? Oder machen ich es mir damit vielleicht nicht etwas zu bequem, denn Verkürzungen, und da müssen wir selbstkritisch sein, machen uns selber ja auch bewusst oder unbewusst das Leben leichter. Dazu gehört auch mal kritisch zu hinterfragen, welche versteckte Intention hinter einer Aussage steht und wer davon profitieren könnte. Im nächsten Schritt auch mal Nein sagen, wenn im persönlichen Umfeld mal wieder der Stammtischmob regiert. Dazu gehört es sich zu informieren und dagegen zu argumentieren, auch wenn man sich damit nicht immer beliebt macht. Im dritten Schritt selber aktiv werden, sei es ein eigenes Aktionsbündnis zu gründen, in eine Partei eintreten oder selber "Öffentlichkeit machen" und einen Blog zu starten. Wir können es uns in Zukunft nicht mehr leisten über die bestehenden Zustände zu mosern, wir müssen danach trachten sie aktiv zu ändern. Und im letzten Schritt Mut zur Utopie, zum langfristigen Denken. Was läuft gut, was läuft schlecht und wie können wir es auf lange Sicht besser machen. Und diese Ideen im Diskurs weiterentwickeln; dabei aber auch das eigene Bild der Wirklichkeit und die Idee kritisch an der Realität messen und selber offen für Kritik und Verbesserungsvorschläge sein.
Die Geschichte ist nicht zu Ende, sie beginnt erst jetzt.

2 Kommentare:

  1. Für mich ist dieses so genannte 'Aktionsbündnis' ein gefährlicher Haufen von heuchlerischen Spinnern, die sich nicht zu schade sind, Kinder für ihre Drecksarbeit zu missbrauchen und sie medienwirksam Spiele in einen Container werfen zu lassen, die sie von Rechts wegen gar nicht besitzen dürften (siehe http://www.youtube.com/watch?v=LW68hN9LTGo ).

    Was ich aber fast noch schlimmer finde, ist das Licht, das diese Aktion auf unsere - scheinbar nicht vorhandene - politische Kultur wirft.

    Wenn ein Typ wie Sarrazin, sich - zugegebenermaßen im Ton vergreifend - über vorhandene aber nur allzu gern übersehene gesellschaftliche Missstände äußert, wird er geächtet und in fragwürdiger Weise langsam aber sicher aus seinem Amt entfernt.

    Wenn hingegen ein amoklaufendes Aktionsbündnis Bücherverbrennung 2.0 spielt und 'entartete' Kunst entsorgt, regt sich niemand darüber auf. Geht ja schließlich um die Kinder, da darf man auch schonmal das Gehirn ausschalten und sich totalitärer Methoden bedienen...

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  2. Leider ist der Weg vom Trivialisieren und Emotionalisieren, tägliches und in Teilen vielleicht auch legitimes Geschäft der Tagespolitik, zum Instrumentalisieren nur kurz. Der legitime Teil kann dazu dienen, komplexe Zusammenhänge für die Vermittlung in der breiten Bevölkerung etwas zu vereinfachen. Der illegitime Teil dient dazu, die eigentliche Stoßrichtung zu kaschieren. Würde jemand sagen, ich will eine stärkere Betonung konservativer Werte in der Gesellschaft und deshalb so neuen und mir angstmachenden Kram wie Computerspiele verbieten wäre er ein Spinner. Wenn er den Einsatz für einen Conservative Rollback unter der Argumentation "Denkt denn keiner an die Kinder" versteckt ist er ein besorgter Bürger. Wenn er es damit in die BILD schafft ist er auf dem besten Weg zum konservativen Innenpolitiker.
    Und Sarrazin nehme ich seine Besorgnis nicht ab. Er lebt von der Dauerprovokation um von seinen bestenfalls mittelmäßigen politischen Ergebnissen abzulenken, nicht umsonst haben seine "heißen" Themen eher selten etwas mit seinem Kernarbeitsbereich Finanzpolitik zu tun. Sarrazin ist ungefähr so sehr ein ernsthafter Politiker wie Rammstein eine ernsthafte Metal-Band. Von letzteren stammt immerhin das in diesem Kontext bemerkenswerte (sinngemäße) Zitat "Nicht wir suchen die Provokation, die Provokation findet uns!"

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